Rede anläßlich der 50Jahr-Feier

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Wir setzen uns für Ihre (erwachsenen) Kinder mit Behinderung und Sie ein. Das finden wir wichtig, weil die Menschen mit Schwerstmehrfachbehinderung keine ausreichende Lobby haben!

Liebe Mitglieder des Landesverbandes, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter!

Csilla Hohendorf
Csilla Hohendorf

Am 28. Dezember 1968 wurde in Mainz von fünf Elternvereinen und zwei Privatpersonen der Landesverband Rheinland-Pfalz zur Förderung körperbehinderter Kinder und Jugendlicher e.V. gegründet. Heute feiern wir sein 50jähriges Bestehen. Lasst uns etwas zurückblicken.
In den vergangenen 50 Jahren haben wir verschiedene Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik und in der Heil- und Sonderpädagogik erlebt: die Befreiung aus der Psychiatrie, die zunehmende Auflösung der Heime, die Pflegeversicherung und deren mehrfache Novellierung. Aus Integration wurde Inklusion, aus Hilfeplan Teilhabeplan. Anstelle von 3 Pflegestufen gibt es jetzt 5 Pflegegrade. Der Behinderungsbegriff
wurde nach der ICF umgedeutet. Es entstand ein neues Gesetz, das Bundesteilhabegesetz, das für einen Teil der Menschen mit Behinderungen Verbesserungen erbrachte. In Kürze wird das Ausführungsgesetz des BTHG in RLP erfolgen. Die Veränderungen sind in der Gesellschaft bislang nur teilweise angekommen.

Unser Landesverband hat in diesen Umwandlungsprozessen stets engagiert mitgearbeitet. Wir haben Stellung genommen, Empfehlungen eingereicht, an Expertisen mitgewirkt. In verschiedenen Foren haben wir, gemeinsam mit unserem Dachverband, dem bvkm und mit anderen Verbänden, mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, der LAG, Netzwerk, Lebenshilfe usw. die Interessen unserer Mitglieder vertreten.

An einem Tag wie heute muss ich als Vorsitzende des Landesverbandes natürlich auf aktuelle Probleme in der Behindertenhilfe hinweisen.
Vor 10 Jahren sagte der Abteilungsleiter Soziales und Demografie im Ministerium, Herr Joachim Speicher, in seiner Rede bei unserem 40 jährigen Jubiläum: „…Wir sollten unsere schönen Ideen mit der Inklusion unbedingt bei den Schwächsten umsetzen und beginnen. Bei den Menschen mit dem höchsten Hilfebedarf.“

Lassen Sie uns anhand von drei Kernpunkten die bisherige Umsetzung der neuen Gesetze für behinderte Menschen prüfen: 1. Der Diversität, 2. Der Selbstbestimmung sowie 3. anhand der Qualität der teilhabeorientierten Pflege. Alle hängen letztlich davon ab, ob ein Mensch seine Wünsche, Vorstellungen, seine Lebensplanung mitteilen und auch in Worte fassen kann. Meine Analyse beruht auf ethischen und fachspezifischen Überlegungen. Aber auch meine Erfahrungen als Mutter einer schwerstbehinderten Tochter gehen in die politische Arbeit als Vorsitzende ein. Dem Landesverband gehören viele Einzelpersonen und Familien an, deren Angehörige eine schwerste Behinderung haben. Ihre Probleme werden dennoch oft nur am Rande wahrgenommen.

Die Diversität bedeutet für uns die Vielfalt der Fähigkeiten innerhalb der Gruppe von Behinderten. Die Vorstellungen zur Lebensführung sind verschieden, die Ziele, Wünsche und Perspektiven zeigen Differenzen. Manche halten Selbstständigkeit, Selbstversorgung, Autonomie und Unabhängigkeit für das Wichtigste in ihrem Leben. Andere jedoch wünschen gerade Hilfe, Versorgung, lebenslange Förderung und auch Schutz. Für alle aber ist Selbstbestimmung eine der wesentlichen Bestrebungen. Wenn Leben ohne Hilfe nicht möglich ist, können sie sich nur so weit selbst bestimmen, wie die Gesellschaft es erlaubt, d.h. bereit ist, ihnen zu finanzieren. Schwerste und mehrfache Behinderung bedeutet, ich kann mein Leben nicht selbst steuern. Ich muss aushalten, was mich ängstlich macht, weil ich nicht sagen kann, was in mir los ist. Ich muss abwarten, bis einer mich befreit aus einer schmerzhaft-verspannten Körperlage und so weiter.
Daher fordern wir von der Gesellschaft, dass das gesamte Spektrum der unterschiedlichen Bedarfe von Menschen mit schwersten Behinderungen anerkannt und akzeptiert wird. Denn in der Realität werden Menschen mit schwersten Behinderungen leider noch immer selten gefragt.

Selbstbestimmung fängt dort an, wo gute Fachleute alle Kommunikationswege kennen und diese im Alltag verwenden. Das geht nur, wenn der Wille da ist, zu wissen, was der Mensch wünscht und wenn die Kommunikationshilfen immer eingesetzt werden, im Tagesablauf, bei Therapien oder bei Ermittlung der Bedarfe. Ohne Kommunikation ist Selbstbestimmung nicht möglich!
Der Landesverband fordert die Verankerung des Rechtes auf Kommunikation mit geeigneter Assistenz um selbstbestimmt leben zu können, sowohl im Gesetz als auch im täglichen Leben!

Der dritte Kernpunkt ist die Qualität der teilhabeorientierten Pflege. Davon können wir im Alltag nur träumen: dorthin zu gehen, wo wir wollen, Spaziergang, Konzert, Ausflug, Disco… Geht jemand mit mir und wo kann ich einen befahrbaren Raum finden, wenn ich gepflegt werden muss? Es fehlt im Allgemeinen die Anerkennung, dass Teilhabe von der Pflege abhängt.
Der Mensch, der fähig ist zu sagen, wie er gepflegt werden möchte, kann seinen Assistenten selbst einweisen. Menschen ohne Sprach- und Kommunikationsfähigkeit können dies nicht und leiden häufig unter Schmerzen, die von dem Pflegenden nicht wahrgenommen werden. Menschen mit schwersten Behinderungen sind in allen Aktivitäten des täglichen Lebens auf Hilfe angewiesen – nicht nur auf Assistenz! Wir fordern die Anerkennung der selbstbestimmten und teilhabeorientierten Pflege mit der Konsequenz einer Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel.
Daher: Die Aufgaben für den Landesverband und die anderen Behindertenverbände werden auch künftig nicht aufhören. Wir müssen und werden weiterhin auf allen politischen Ebenen mitreden!

Herzliche Grüße
Ihre Csilla Hohendorf
Vorsitzende im Landesverband