Zahlt das Land zu viel an die Werkstätten?

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Diese Top-Schlagzeile in der Presse ließ uns im Sommer alle aufhorchen. Auch die Schlagzeilen darunter machten neugierig, denn da hieß es: Rechnungshof und Landesregierung streiten über Kosten! Und an anderer Stelle: Die mit vielen Steuergeldern geförderten Träger wollen sich nicht prüfen lassen.
Wir fragten uns ob wohl ein Sommerloch zu stopfen war oder ob der Bundestagswahlkampf bereits seine Schatten voraus warf? Oder erhalten die Werkstätten tatsächlich zu viel Geld, dieser Vorwurf stimmt und die Werkstätten wollen sich deshalb nicht in die Karten schauen lassen?
Wir haben uns bemüht Fakten zu diesem Themenkreis zusammen zu tragen, hierzu Drucksachen zu Landtags zitiert.

Die ganze Angelegenheit hatte ihren Anfang mit einem Bericht des Landesrechnungshofes, der die Vergütungen von 13 der in Rheinland-Pfalz befindlichen 36 Werkstätten für behinderte Menschen für die Jahre 2012/2013 geprüft hatte. In seinem Prüfbericht vom 27.3.2014 kritisierte er die derzeitige Vergütungspraxis und auch die Höhe und damit die Angemessenheit der Vergütungen. Aufgrund dieser Prüfung hat sich der Landtag mit dieser Thematik mit folgender Vorlage beschäftigt:
„Entgeltvereinbarungen für Leistungen der Eingliederungshilfe in Werkstätten für behinderte Menschen”

Feststellungen und Bewertungen des Rechnungshofs:
Die vom Land mit den Werkstattträgern vereinbarten Tagessätze lagen erheblich über dem Durchschnitt der anderen Länder. Dies führte 2011 im Vergleich zum Länderdurchschnitt rechnerisch zu Mehrausgaben des Landes und der Kommunen von mehr als 30 Mio. €. An dem Kennzahlenvergleich der überörtlichen Träger der Sozialhilfe nahm nur das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung nicht teil.
Gesetzlich seit 1996 vorgeschriebene Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen hatte das Landesamt noch nicht geschlossen.
Die Werkstatträger erhielten Entgelte, ohne ihre Aufwendungen nachweisen zu müssen. Entstehung und Angemessenheit der Aufwendungen blieben ungeprüft. In die Tagessätze einbezogene Vergütungskomponenten waren nicht immer sachgerecht bemessen. Die vereinbarten Personalschlüssel gingen über die Anforderungen der Werkstättenverordnung sowie die in anderen Ländern zugrunde gelegten Nr. 13 des Jahresberichtes 2015 (Drucksache 16/4650 S. 118), Stellungnahme der Landesregierung hierzu
(Drucksache 16/5099 S. 15).

Schlüssel hinaus. Allein durch Einbeziehung von Gruppenhelfern in die Personalschlüssel wurden die rheinland-pfälzischen Sozialhilfeträger mit geschätzten Ausgaben von 12 Mio. € jährlich belastet.
Die bedarfsgerechte Bewilligung von Zusatzkräften für behinderte Menschen mit einem erhöhten Betreuungsbedarf und die gebotene Kontrolle, ob die Zusatzkräfte tatsächlich beschäftigt wurden, waren nicht sichergestellt.
Zusatzkräfte waren nicht auf der Basis realistischer Belegungszahlen und ohne sachgerechte Berücksichtigung unterschiedlicher Kostenstrukturen in Arbeitsbereich und Eingangsverfahren/Berufsbildungsbereich vereinbart. Sie differenzierten auch nicht nach dem unterschiedlichen Aufwand für die Betreuung behinderter Menschen auf dauerhaft ausgelagerten Arbeitsplätzen sowie zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigung.
Die Kosten für Fahrdienste wurden pauschal als Teil der Tagessätze erstattet. Die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Fahrdienste wurden nicht geprüft. Vermeidbare Ausgaben entstanden u. a. dadurch, dass das Land nicht bewilligte Zusatzkräfte finanzierte, durch pauschale Anhebungen der Tagessätze auch nicht angefallene Kosten der Werkstätten deckte, Investitionskosten über Förderungen und laufende Vergütungen doppelt berücksichtigte und Tagessätze trotz entfallener Kosten nicht anpasste. Die Berechnung der Arbeitsentgelte für behinderte Menschen entsprach nicht den rechtlichen Vorgaben. Möglichkeiten zur Verbesserung der Steuerung der Werkstattbelegung wurden noch nicht hinreichend genutzt.“

Der Landtag hat daraufhin beschlossen (Zitat):
„Es wird zustimmend zur Kenntnis genommen, dass
a) das Landesamt das für die Teilnahme am Kennzahlenvergleich notwendige Datenmaterial erarbeitet,
b) Zusatzkräfte nur noch bedarfsabhängig als zusätzliche Einzelfallhilfe bewilligt werden und die sozialhilferechtliche Notwendigkeit regelmäßig überprüft wird,
c) bei Einzelverhandlungen, beim Investitionsbetrag im Rahmen einer
Neuverhandlung des Vergütungssatzes und bei der Bildung des Investitionskostenzuschlages auf die aktuellen Belegungstage abgestellt wird,
d) vorhandene Eigenmittel der Werkstätten künftig vorrangig zur Deckung von Ersatz- und Modernisierungsinvestitionen eingesetzt werden,
e) bei den Vereinbarungen der künftigen Werkstattvergütungen die Kostenunterschiede zwischen Arbeitsbereich sowie Eingangsverfahren/Berufsbildungsbereich beachtet werden,
f)das Landesamt aufgefordert wurde, für eine den gesetzlichen Bestimmungen entsprechende Verwendung der Arbeitsergebnisse und damit einhergehende Berechnung der Arbeitsentgelte zu sorgen,
g) das Landesamt weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Steuerung der Werkstattbelegung eingeleitet hat.

Die Landesregierung wird aufgefordert,
a) auf einen baldigen Abschluss von Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen hinzuwirken,
b) sicherzustellen, dass das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung zeitnah von allen Werkstattträgern sämtliche für die Entgeltbemessung bedeutsamen Nachweise über deren Aufwendungen anfordert sowie anhand dieser Unterlagen die Entgelte prüft und über die aus den Prüfungsergebnissen gezogenen Folgerungen zu berichten,
c) sachgerechte Personalschlüssel zu vereinbaren oder, falls mit den Werktstattträgern keine Einigung erzielt wird, festzulegen,
d) auf die Sicherstellung wirtschaftlicher Fahrdienste hinzuwirken,
e) über die Ergebnisse der Prüfungen von Fällen, in denen die Tagessätze zugrunde gelegte Kostenbestandteile entfielen und Überfinanzierungen festgestellt wurden, und den gezogenen Folgerungen berichten,
f) über die Ergebnisse der Gespräche zur Differenzierung der Tagessätze nach dem unterschiedlichen Aufwand für die Betreuung behinderter Menschen auf dauerhaft ausgelagerten Arbeitsplätzen sowie für Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse zu berichten.“

Zumindest die Leser und Leserinnen unseres Rundbriefes haben nun eine deutlich bessere Datenbasis als nach dem Lesen von Zeitungsartikeln, in denen in der Regel nur wenige Fakten vorgestellt werden. Die Fakten sind uns sehr wichtig, denn als Vorstandsmitglieder im Landesverband wurden wir auf die gesamte Thematik angesprochen, weil die etwas reißerischen Zeitungsartikel verunsicherten.
Mit den vorgelegten Texten wird ein Punkt sehr deutlich: Zu der aktuellen Klage durch das Land Rheinland-Pfalz und der nun folgenden gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen dem Land und den Werkstätten wäre es nicht gekommen, wenn die seit 1996 vorgeschriebene aber leider fehlende Leistungs-, Vergütungs- und Prüfvereinbarung zielführend und stringent abgeschlossen worden wäre. Diese Lücke darf uns wundern, denn offenbar wurde 20 Jahre ergebnislos verhandelt. Von der LAG der Werkstätten, so wurde uns versichert, wurden in dieser Zeit konstruktive Vorschläge unterbreitet und so wird es für uns verständlich, warum die Werkstätten
nun eine Prüfung ihrer betriebswirtschaftlichen Zahlen ablehnen. Die befragten Werkstattvertreter beteuern, dass man nichts zu verbergen habe, es sei aber nicht akzeptabel, wenn das Land einerseits keinen Abschluss einer Vereinbarung zur Prüfung eingegangen sei, nun aber ohne Rechtsgrundlage prüfen wolle. Diese Frage wird nun das Verwaltungsgericht, womöglich in einer Musterklage, zu entscheiden haben.

Die Werkstätten stehen anscheinend bereit eine Leistungs-, Vergütungs- und Prüfvereinbarung mit dem Land Rheinland-Pfalz abzuschließen. Wir fragen: Wäre es nicht kostenschonender und zielführender, wenn es in dieser Situation endlich zu der seit 1994 fehlenden Vereinbarung käme anstatt sich vor Gericht zu streiten?
Ein Ergebnis aus dem Bericht des Rechnungshofes gibt uns allerdings zu denken: Sollte es Werkstätten in Rheinland-Pfalz geben, die auf erheblichen finanziellen Polstern sitzen, dann ist für uns eindeutig, dass die Mittel der Werkstätten zweckgenau für die Menschen mit Behinderung eingesetzt werden, für die sie bestimmt sind. Kein Träger soll sich an Vergütungssätzen bereichern können! Deswegen erscheint uns die Herstellung von Transparenz wichtig. Bei unserer Recherche sind wir auf Werkstätten gestoßen, die sich zu Unrecht an den Pranger gestellt sehen, da keine „dicken Rücklagen“ gebildet sind oder zu viel Personal eingesetzt wird. Eine Werkstatt betonte, dass sie kontinuierlich sehr exakt gegenüber dem Landesamt sog. Zusatzkräfte darlegen muss.

Was uns bei unserer Recherche auch begegnete war ein Vorschlag aus dem Landesrechnungshof, die Fahrtkosten aus den Vergütungssätzen der Werkstätten heraus zu lösen, da nicht jeder Werkstattbesucher transportiert werden müsse und ggf. unentgeltlich im ÖPVN fahren könne. Wer sowas vorschlägt, scheint sehr optimistisch zu sein und hat vielleicht zu wenig Ahnung von der Praxis, denn wir wissen, dass viele öffentliche Busse maximal einen Menschen mit Rollstuhl befördern. Wer
sich aber in den Werkstätten in Rheinland-Pfalz auskennt, weiß um die Vielzahl von Rollifahrern, die jeden Tag transportiert werden müssen. Außerdem: Da es sich in den meisten Fällen um Menschen mit geistiger Behinderung handelt, dürfte der Vorschlag aus dem Landesrechnungshof eine Explosion der Kosten bewirken, denn viele der Werkstattbesucher müssten bei der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln von Assistenten begleitet werden…
Wir nehmen zur Kenntnis, dass die durchschnittlichen Kosten für Werkstattplätze in Rheinland-Pfalz höher liegen als in anderen Bundesländern. Auch die Arbeitsentgelte für die Menschen mit Behinderung liegen um mehr als 38 € über dem Durchschnitt der Länder. Wenn diese Feststellungen tatsächlich stimmen – oftmals werden Äpfel mit Birnen verglichen -, dann können wir vom Landesverband für Körper- und Mehr-
fachbehinderte dem Land Rheinland-Pfalz an dieser Stelle nur danken. Wir wissen welche tagtägliche Mühe es Betroffenen, ihren Angehörigen und auch Leistungsanbietern macht, eine ausreichende Finanzierung von Unterstützungsleistungen zu erreichen. Da tut es gut zu wissen, wenn das Land bedarfsgerechte Strukturen die Werkstätten betreffend z.B. durch die Gewährung von Zusatzkräften, zugelassen hat.
Wäre dies nicht der Fall, dann müssten vielleicht viele Menschen mit Behinderung ihre Werkstatt verlassen und stattdessen das Recht auf einen Platz in der Tagesförderung beanspruchen – was am Ende wahrscheinlich teurer würde.
Kurzum: Spätestens seit dem kritischen Bericht des Landesrechnungshofes ist Bewegung in die Refinanzierung der rheinlandpfälzischen Werkstätten gekommen. Wir dürfen auf die weiteren Schritte und die nachfolgenden gerichtlichen Ergebnisse gespannt sein, vor allem auch auf die vom Landtag bei der Landesregierung angeforderten Berichte. Die Frage, ob das Land zu viel an die Werkstätten für behinderte Menschen bezahlt, ist längst nicht abschließend beantwortet und steht auch nicht zur gerichtlichen Entscheidung an, da es hier ja zunächst mal nur um das Prüfrecht geht.
Dass dieses Thema aber nun im vergangenen Sommer etwas „hochkochte“, war wohl doch nur Wahlkampfgetöse. Sollten wir mit dieser Einschätzung richtig liegen, dann müssen wir eindringlich davor warnen die Menschen mit Behinderung als eine „taktische Masse“ zu nutzen.
Der Landesvorstand